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Wikipediaartikel:
„Soziologie“

Soziologie (socius, latein für 'Gefährte' und lógos griechisch für 'Lehre') ist die Wissenschaft des Sozialen. Sie beschäftigt sich mit allen Formen der Sozialität (Mikro- und Interaktionssoziologie, Meso- und Organisationssoziologie, Marko- und Gesellschaftssoziologie). Im Laufe der Zeit bildeten sich zahlreiche spezielle Soziologien, wie zum Beispiel die Arbeits-, Betriebs-, Elite-, Familien-, Geschlechter-, Kultur-, Medien-, Parteien-, Religions-, Sport-, Technik-, Umwelt-, Verwaltungs-, Wirtschafts- und Wissenschaftssoziologie, um nur einige zu nennen.

Soziale Systeme[]

"Die Soziologie steckt in einer Theoriekrise. Eine im ganzen recht erfolgreiche empirische Forschung hat unser Wissen vermehrt, hat aber nicht zur Bildung einer facheinheitlichen Theorie geführt. (...) Dieses Dilemma hat den Theoriebegriff selbst gespalten. Teils versteht man unter Theorie empirisch testbare Hypothesen über Beziehungen zwischen Daten, teils begriffliche Anstrengungen in einem weitgefaßten, recht unbestimmten Sinne. Ein Mindesterfordernis ist zwar beiden Richtungen gemeinsam: Eine Theorie muß Vergleichsmöglichkeiten eröffnen. (...) Auf abstrakterer Ebene entstehen auf diese Weise Theoriesyndrome wie Handlungstheorie, Systemtheörie, Interaktionismus, Kommunikationstheorie, Strukturalismus, dialektischer Materialismus - Kurzformeln für Komplexe von Namen und Gedanken. (...) Die Einheit der Soziologie erscheint dann nicht als Theorie und erst recht nicht als Begriff ihres Gegenstandes, sondern als pure Komplexität. (...) Es geht also um ein Verhältnis von Komplexität und Transparenz. (...) [Eine facheinheitliche Theorie der Soziologie] setzt ihr Gegenstandsverhältnis als Verhältnis von intransparenter zu transparenter Komplexität. Sie reklamiert für sich selbst nie: Widerspiegelung der kompletten Realität des Gegenstandes. Auch nicht: Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Erkenntnis des Gegenstandes. Daher auch nicht: Ausschließlichkeit des Wahrheitsanspruchs im Verhältnis zu anderen, konkurrierenden Theorieunternehmungen. Wohl aber: Universalität der Gegenstandserfassung in dem Sinne, daß sie als soziologische Theorie dies Soziale behandelt und nicht nur Ausschnitte."[1]

"Wollte eine universalistische Theorie diesem Irrtum der Selbsthypostasierung verfallen, und das liegt nahe, weil sie die Prinzipien, mit denen sie arbeitet, voraussetzen muß, würde sie sehr bald über Selbstreferenz eines Besseren belehrt werden. Sobald sie sich unter ihren Gegenständen wiederentdeckt, sobald sie sich selbst als Forschungsprogramm eines Teilsystems (Soziologie) eines Teilsystems (Wissenschaft) des Gesellschaftssystems analysiert, wird sie genötigt, sich selbst als kontingent zu erfahren. Notwendigkeit und Kontingenz ihres »Selbst« wird für sie dann erkennbar als Artikulationsdifferenz der Selbstreferenz."[2]

Die Gesellschaft der Gesellschaft[]

"Die klassische Soziologie hatte sich als Wissenschaft von sozialen Tatsachen zu etablieren versucht - Tatsachen verstanden im Unterschied zu bloßen Meinungen, Wertungen, ideologischen Voreingenommenheiten." Da die Soziologie selbst eine soziale Tatsache darstellt, "hätte [sie] also ihre eigene Tatsächlichkeit zu berücksichtigen. (...) Im Bereich der Gesellschaftstheorie ist diese Auffassung [, der Forscher versteht sich selbst als Subjekt außenhalb seines Themas] jedoch nicht durchzuhalten, denn die Arbeit an einer solchen Theorie verwickelt zwangsläufig in selbstreferentielle Operationen. Sie kann nur innerhalb des Gesellschaftssystems kommuniziert werden."[3] "Wie immer die Ausführungen im einzelnen: generell sah man sich aus erkenntnistheoretischen Gründen an die Unterscheidung von Subjekt und Objekt gebunden und konnte hier dann nur zwischen einer szientistisch naiven oder einer transzendentaltheoretisch reflektierten Position wählen. Viele Merkwürdigkeiten der heute klassischen Soziologien muß man der Begrenztheit dieses Auswahlschemas zurechnen und dem Versuch, trotzdem zurechtzukommen."[4] "Zwar gibt es Spezialforschungen über eine »Soziologie der Soziologie«, und es gibt neuerdings eine Art »reflexive« Wissenschaftssoziologie. In solchen Zusammenhängen tauchen Probleme der Selbstreferenz auf, aber sie werden als Spezialphänomene gleichsam isoliert und wie Merkwürdigkeiten oder wie methodische Schwierigkeiten behandelt. (...) Seit den Klassikern, seit etwa 100 Jahren also, hat die Soziologie in der Gesellschaftstheorie keine nennenswerten Fortschritte gemacht."[5]

Es finden sich Erkenntnisblockaden im heute vorherrschenden Verständnis von Gesellschaft in Form von vier miteinander verbundenen, sich wechselseitig stützenden Annahmen:

(1) "daß eine Gesellschaft aus konkreten Menschen und aus Beziehungen zwischen Menschen bestehe; (2) daß Gesellschaft folglich durch Konsens der Menschen, durch Übereinstimmung ihrer Meinungen und Komplementarität ihrer Zwecksetzungen konstituiert oder doch integriert werde; (3) daß Gesellschaften regionale, territorial begrenzte Einheiten seien, so daß Brasilien eine andere Gesellschaft ist als Thailand, die USA eine andere als die Rußlands, aber dann wohl auch Uruguay eine andere als Paraguay; (4) und daß deshalb Gesellschaften wie Gruppen von Menschen oder wie Territorien von außen beobachtet werden können."[6]

Quelle[]

  1. Luhmann, Niklas: Soziale Systeme: Grundriss einer allgemeinen Theorie. 1.Aufl., Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1987, ISBN 3-518-28266-2, S.7f
  2. Ebd., S.34
  3. Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft. 1.Aufl., Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1997, ISBN 3-518-58240-2, S.16f
  4. Ebd., S.18
  5. Ebd., S.19f
  6. Ebd., S.24f
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